ui. ist 10 Jahre geworden – aus diesem Anlass gibt es einen lesenswerten Gastartikel des befreundeten Bloggers Torsten Dewi (rechts im Bild), der auf Wortvogel viel über Film und Fernsehen und noch mehr schreibt. Lohnt sich auf jeden Fall da mal vorbeizuschauen. Hier schreibt er über den Humor in Deutschland der letzten 43 Jahre – regt auf jeden Fall zum Nachdenken an!

Manuel hat mich gebeten, was zu seinem Blog-Jubiläum zu schreiben. 10 Jahre uiuiui(undeinpaarmehruis).de – heilige Scheiße, das ist lang. Bloggerjahre sind wie Hundejahre und zählen siebenfach. Demnach hat diese Webseite das Rentenalters schon längst erreicht. Meine eigene Webseite wortvogel.de ist mit 43 Bloggerjahren hingegen gerade erst mal in der Midlife-Crisis angekommen. Kurioserweise bin ich selber auch 43. Karma?

Über was soll ich schreiben, was nicht besser auf MEINE Seite passen würde? Es kribbelt, mich an einem humorigen Stück zu versuchen, aber das kann der Hausherr besser und meiner Erfahrung nach ist wenig so schmerzhaft wie ein „lustiges Essay“, das nicht lustig ist. Ich kann Humor nicht auf Kommando.

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Was ich aber gut kann, ist Erlebtes nacherzählen. Und darum werde ich genau das tun. Ich werde mein Leben im Spiegel des prägenden Humors nacherzählen. Die größten Hits der 70er, 80er, 90er und das Beste von heute, sozusagen. Das sagt was über mich aus, im Idealfall aber auch über das Land, in dem ich lebe.

Vorneweg: Loriot kommt nicht vor. Er ist in einem Maße singulär und untypisch für den deutschen Humor, dass ich mich schlichtweg unfähig sehe, ihn einzuordnen. Schlimmer noch: er lässt humoristisches Brachland, nämlich die BRD der 70er, unverhältnismäßig glänzen. Und das sollte bei Strafe verboten sein.

Andererseits: Gleich zu Anfang schleicht sich Vicco von Bülow doch ein, sei es auch in kaniner Gestalt. Denn eine der ganz frühen Comedy-Erinnerungen stammt aus der Ratesendung „Der große Preis“ mit Wim Thoelke. Dort gab es immer einen Dialog zwischen dem Moderator und einem Zeichentrick-Hund namens Wum (später kam noch Elefant Wendelin dazu). Erdacht, gesprochen und gezeichnet von – genau – Loriot. Das fand ich witzig. Da war ich sechs. Es war 1974.

Im „Großen Preis“ gab es auch die schnell plappernde Berliner Schnauze in Gestalt des Kabarettisten Wolfgang Gruner, der als Taxifahrer „Fritze Flink“ auftrat. Genau genommen war das meine erste Begegnung mit der modernen Comedy, wie sie erst in den 90er Jahren ihren Durchbruch haben sollte. Gruner hatte eine Figur erfunden und zog sie konsequent samt Kostüm und Manierismen durch, wie es zwei Jahrzehnte später Tom Gerhardt und Rüdiger Hoffmann tun würden.

Ansonsten bestand die Welt der Comedy, wie ich sie in den 70er wahr nahm, aus zwei Komponenten: Otto Waalkes und dem Rest. Einmal im Jahr machte Waalkes ein neues TV-Special, das dann auch auf Platte veröffentlicht wurde. „Otto versaut Hamburg“, „Ottocolor“, „Oh, Otto“. Diese hörte man im Freundeskreis rauf und runter, bis man sie auswändig konnte – die permanenten kostenlosen Wiedergaben am Mittagstisch dürften so manche Eltern nahe an den Rand des Wahnsinns getrieben haben. Sich die alten Aufnahmen heute noch mal anzuhören, ist eine mitunter bizarre Erfahrung: Man kann die Witze, inklusive Details wie Pausen und Versprecher, immer noch nachplappern. Manche wirken dünn, andere peinlich, viele seltsam ihrer Zeit verpflichtet („Ho Chi Minh – Huckleberry Finn – Idi Amin!“). Otto war radikaler, gnaden- und skrupelloser, als sein albernes Gehopse damals ahnen ließ. Kein Wunder, speisten sich seine Programme doch gerne aus dem Intellekt einige großer Satiriker (Eilert, Gernhardt) – und Woody Allen. Lauscht man nämlich heute den alten Standup-Programmen Allens der frühen 60er, ist man überrascht, wie viel der „Friesenjung“ von dem kleinen New Yorker Schlemihl übernommen (geklaut?) hat.

Der Rest dessen, was ich als Comedy wahr nahm, bestand aus Sketchshows wie „Klimbim“. Meine ersten nackten Brüste waren die von Ingrid Steeger – besser kann man wohl in das Thema nicht eingeführt werden. Auch hier musste dem deutschen Humor durch Amerikanisierung auf die Sprünge geholfen werden: „Rowan and Martin’s Laugh In“ stand Pate, bzw. war das Vorbild, das sich Michael Pfleghar in den USA genaustens abgeschaut hatte.

Vielleicht war das der Grund, warum Waalkes und „Klimbim“ als neu und frech wahrgenommen wurden – sie stützten sich auf ein amerikanisches Verständnis von Comedy, das seinen Durchbruch bei uns erst später haben sollte. Es herrschte bis dato ja das urdeutsche duale Humorsystem aus Karneval und Kabarett, quasi Comedy jeweils für die Regierung und die Opposition. Humor hatte immer eine Zweck zu haben, war nie Selbstzweck.

Atmete „Klimbim“ in seinen besten Momenten noch den Geist der Anarchie und der linksliberalen Authoritätsfeindlichkeit, suhlten sich andere Produktionen wie „Ein verrücktes Paar“ und „Plattenküche“ in nachkrieglicher Spießigkeit, die man damals kaum wahrnahm, die sich retrospektiv (z.B. auf DVD) allerdings als komplett unerträglich entlarvt. Auch Dieter Hallervordens Benny Hill/Buster Keaton-Hommage „Nonstop Nonsens“ entpuppt sich als komödiantisches Katzengold, wenn man genauer hinschaut. Ansonsten: Klamauk und Possenreisser wie Fips Asmussen, die den Status Quo zementierten, in dem sie ihn genau so weit entlarvten, dass er sich selbstgefällig Humor- und Kritikfähigkeit attestieren konnte.

Die 70er waren einfach kein gutes Feld für Mainstream-Comedy. Das, was damals als „Sketch“ durchging (siehe „Disco“), schien den Geistern öffentlich-rechtlicher Berufsredakteure entsprungen, die ebenso Beiträge für das Tele-Kolleg oder das Wort zum Sonntag schrieben. Gebrauchsfernsehen, das sich „Unterhaltung“ nennen musste, damit man als Zuschauer wusste, dass man sich jetzt auch bitte zu unterhalten habe. Und man unterhielt sich eben.

Die 80er hingegen waren – wie in so vielen Bereichen – auch bei der Comedy vom Aufbruch geprägt. „Fast wia im richtigen Leben“ von Gerhard Polt startete 1979 ebenso wie die Zeitschrift „Titanic“, der „Scheibenwischer“ begann 1980. „Extratour“ verknüpfte ab 1985 Comedy mit Pop und Sozialkritik, Ingolf Lück baute sich aus „Formel 1“ eine Kleinkunst-Bühne („Jetzt kommen Cock Robin – Robin heißt Rotkehlen und was Cock heißt, fragt ihr besser euren Englischlehrer“). Es war nicht alles lustig, aber es war neu, es war bunt, und es musste nicht mehr jedem gefallen. Die muffigen Altherrenwitzler blieben in den großen Gala-Shows, aber die Jugendlichen erkämpften sich eigene Formate und Vorbilder. Jürgen von der Lippe machte den „WWF-Club“ zum Pflichtprogramm und neue Zeichner wie Brösel, Walter Moers und Ralf König loteten aus, wie weit man gehen konnte. Und man konnte weit gehen.

Vor allem aber: Humor war in den entsprechenden Szenen (ja, so sagte man das damals) konsensfähig. Jeder schaute dienstags „Formel 1“, jeder hatte den neusten „Reiser“ gelesen. Auf Partys wurde zum Ausklang aus Douglas Adams‘ „Per Anhalter durch die Galaxis“ vorgetragen. „Legalisiert Erdbeereis“. Spontizeit. Es war sicher auch den Sorgen der Zeit geschuldet (Atomkrieg, Umweltzerstörung, G.G. Anderson), dass die Suche nach frecher Revolution mitunter etwas zwanghaft-neurotisches annahm. Ging es mit dem literarischen Humor langsam etwas aufwärts, bewegte sich die filmische Zwerchfelltherapie konsequent seitwärts: die „Lümmel von der letzten Bank“-Streifen der 70er, die eigentlich in die 50er gehört hätten, machten den „Supernasen“ platz, die vielleicht etwas rotziger waren, dafür aber so inkompetent gestümpert, dass sie heute nicht mal mehr im Nachtprogramm von SAT.1 gezeigt werden können. Wer mal am Extrem sehen will, wie wenig der schiere Wille zur Anarchie die sorgfältige Humorarbeit ersetzen kann, sollte sich den Streifen „TV-Piraten – Sender freies Bilk“ besorgen.

Entlarven die 70er rückblickend ihre eigene Unerträglichkeit, so erlauben die 80er ein etwas milderes Urteil: Ja, es war nicht alles neon, was da glänzte, aber der Versuch ehrte so manchen Hampelmann und nicht ohne Grund hat die „creme de la creme“ der deutschen Komiker in dieser Zeit die Comedy-Grundschule besucht.

Weiter zu den 90ern. Dank Privatfernsehen und Internet stieg die Zahl der Kanäle, aus denen man sich bedienen konnte, was zwangsweise zur Erosion des Konsens führte. Jeder machte sein eigenes Ding, fand seine eigenen Lieblinge. Ähnlich ging es der Musik: klare Trends, denen man sich für einen Zeitraum von zwei bis drei Jahren anschließen konnte, verkümmerten. Stilfreiheit ersetzte den Gruppenzwang, aber auch das Zugehörigkeitsgefühl.

Zuerst einmal spülten die 90er aber jede Menge US-Comedy nach Deutschland. Ob „RTL Samstag Nacht“ sich „Saturday Night Live“ zum Vorbild nahm oder der damals noch respektable Kabarettist Harald Schmidt plötzlich das Genre der „Late Night Show“ (nach einem desaströsen Gottschalk-Versuch) etablieren wollte: es wurde schneller, punktueller, aktueller, der Pointe mehr verpflichtet als dem Thema. Neue Comedy-Stars wie Tom Gerhard und Rüdiger Hoffmann schufen Programme und Figuren, die gesellschaftliche Probleme der Lächerlichkeit preisgaben, statt sie durch Humor anzuprangern. Ihre Erfolge läuteten den Tod (oder zumindest die völlige Marginalisierung) des politischen Kabaretts ein. Es wurde auch erstmals der Gattungsbegriff Comedy als herablassende Distanzierung durch das Kabarett eingeführt – die kommerzialisierte Spreu dadurch vom intellektuellen Weizen zu trennen ging allerdings so komplett nach hinten los wie die Einführung des Labels „made in Germany“ durch die Engländer vor 100 Jahren. Kein Wunder, dass so mancher Kabarettist seine Clubkarte abgab, um sich mit Klamauk eine goldene Clownsnase zu verdienen. Genau, Busse, Sie sind gemeint!

Die 90er wurden damit das Jahrzehnt der Massen-Comedy, die den Graben zwischen jung und alt zumindest zeitweise mit schierem Volumen und einer wachsenden Nachfrage der New Economy zuschüttete. Es ist leicht, das im Nachhinein zu verdammen, doch hört man sich Lesungen dieser Jahre an, schaut man ein paar DVDs, dann wird schnell klar: hier waren viele ungeschliffene Diamanten am Werk. Piet Klocke, Anke Engelke, Max Goldt, Bully, Oliver Kalkofe, Walter Moers, Olli Dittrich. Im Dung wuchsen auch viele Orchideen.

Im neuen Jahrtausend scheint die Welle der Comedy-Bühnenarbeiter ihren Reiz des Neuen verloren zu haben, ohne dabei untergegangen zu sein. In jeder Stadt versucht sich der Standup-Nachwuchs, während das Kabarett schwächelt und die Versuche, es im Fernsehen zu halten, fast schon verzweifelt wirken. Bei der Sketchshow orientieren wir uns an den Engländern, viele alte Helden wirken müde (Mittermeier, Appelt, Klocke), die bloße Erwähnung von Mario Barth schafft Feinde – oder wie der Rheinländer sagt: ’n dicken Hals. Formate sind bei den Sendern etabliert, obwohl sie nicht funktionieren, Experimente aus schierem Übermut (80er) oder dicker Brieftasche (90er) werden kaum noch gewagt. Wo die Trennlinie einst zwischen bürgerlich und progressiv verlief, dann zwischen jung und alt, scheint sie momentan eher zwischen oben und unten zu existieren: die so empfundenen tumben Massen mögen sich an Barth, Cindy aus Marzahn und Bohlen-Sprüchen ergötzen, für den ambitionierten Rest gibt es „Dittsche“ und „The Office“, Stuckrad-Barre und Stephen Fry. Auf den Bühnen verschwimmen die Genres: Gestandene Kabarettisten versuchen, das Publikum bei schwereren Themen stärker mitzunehmen, während Comedians plötzlich auch wieder politische Themen anfassen.

Comedy ist kein Nischenprogramm mehr, sondern allgegenwärtig, so beliebig wie unübersichtlich. Medienkompetenz bedeutet 2012 auch, die Perlen zu finden – und sei es nur ein putziges neues Katzenvideo.

Weil das bis hier hier alles nur meine Meinung war und Zahlen zählen: von prägenden Comedy-Produktionen wie „Fast wia im richtigen Leben“, „Ein verrücktes Paar“ und „Nonstop Nonsens“ gab es 12, 10 und 20 Folgen, respektive. „Switch“ hat es bereits auf über 120 gebracht. „Dittsche“ auf über 170.

Humor prägt. Dies war meine Prägung. Eure wird eine andere gewesen sein. Glücklicherweise.